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Unfallbegriff

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Prüfung des Unfallbegriffs

Gesetzliche Bestimmung

Ungewöhnlicher äusserer Fatkor

Ungewöhnlicher äusserer Faktor bei Sportunfällen im Speziellen

Plötzlichkeit

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Expertensysteme: Unfallbegriff und unfallähnliche Körperschädigung 

  • Diese Applikation beurteilt, ob der Unfallbegriff erfüllt ist oder eine gedeckte unfallähnliche Körperschädigung vorliegt.

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Prüfung des Unfallbegriffs

Gesetzliche Bestimmung

Unfallbegriff

Art. 4 ATSG

 

Unfall ist die

auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.

Ungewöhnlicher äusserer Faktor

Grundsatz des ungewöhnlichen äusseren Faktors

Urteil 8C_24/2022 vom 20.09.2022 E. 3.2 (Volltext)

 

Das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors kann unter anderem in einer unkoordinierten Bewegung bestehen. Bei Körperbewegungen gilt dabei der Grundsatz, dass das Erfordernis der äusseren Einwirkung lediglich dann erfüllt ist, wenn ein in der Aussenwelt begründeter Umstand den natürlichen Ablauf einer Körperbewegung gleichsam "programmwidrig" beeinflusst hat. Bei einer solchen unkoordinierten Bewegung ist der ungewöhnliche äussere Faktor zu bejahen; denn der äussere Faktor - Veränderung zwischen Körper und Aussenwelt - ist wegen der erwähnten Programmwidrigkeit zugleich ein ungewöhnlicher Faktor (BGE 130 V 117 E. 2.1; Urteil 8C_586/2020 E. 3.3; 8C_671/2019 E. 2.3).

 

Dies trifft beispielsweise dann zu, wenn die versicherte Person

  • stolpert, ausgleitet
  • oder an einem Gegenstand anstösst,
  • oder wenn sie, um ein Ausgleiten zu verhindern,
  • eine reflexartige Abwehrhaltung ausführt oder auszuführen versucht

(Urteile 8C_783/2013 vom 10. April 2014 E. 4.2; 8C_749/2008 vom 15. Januar 2009 E. 3.2). Das Auftreten von Schmerzen als solches ist demgegenüber kein äusserer (schädigender) Faktor im Sinne der Rechtsprechung (BGE 129 V 466 E. 4.2.1; Urteil 8C_456/2018 vom 12. September 2018 E. 6.3.2).

 

Einwirkungen, die aus alltäglichen Vorgängen resultieren, taugen in aller Regel nicht als Ursache einer Gesundheitsschädigung (BGE 134 V 72 E. 4.1).

 

Ferner ist zu beachten, dass sich der medizinische Begriff des Traumas nicht mit dem versicherungsrechtlichen Unfallbegriff im Sinne von Art. 4 ATSG deckt.

 

Ausschlaggebend ist also, dass sich der äussere Faktor vom Normalmass an Umwelteinwirkungen auf den menschlichen Körper abhebt (BGE 134 V 72 E. 4.3.1; Urteil 8C_231/2014 E. 2.3). 

Individuellen Fähigkeiten ohne Bedeutung bei der Beurteilung der Ungewöhnlichkeit

BGE 134 V 72 vom 18.01.2008 E. 4.3.2 (Volltext)

 

Nach Auffassung der Lehre sind die individuellen Fähigkeiten jedoch kein massgebendes Kriterium für die - sich nach objektiven Gesichtspunkten richtende - Bejahung oder Verneinung der Ungewöhnlichkeit.

Notwendiges exogenes Element im Rahmen des ungewöhnlichen Faktors

Urteil 8C_842/2018 vom 06.05.2019 E. 3.3.1 (Volltext): Abgrenzung zur Krankheit

 

Das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit wurde entwickelt, um die "tausendfältigen kleinen und kleinsten Insulte des täglichen Lebens, die als solche gänzlich unkontrollierbar sind und deshalb nur beim Hinzutreten von etwas Besonderem Berücksichtigung finden sollen", aus dem Unfallbegriff auszuscheiden. Das Merkmal des Ungewöhnlichen macht den alltäglichen Vorgang zum einmaligen Vorfall. Einwirkungen, die aus alltäglichen Vorgängen resultieren, taugen in aller Regel nicht als Ursache einer Gesundheitsschädigung.

 

Liegt der Grund somit allein im Innern des Körpers, ist Krankheit gegeben. Daran ändert die blosse Auslösung des Gesundheitsschadens durch einen äusseren Faktor nichts; Unfall setzt vielmehr begrifflich voraus, dass das exogene Element so ungewöhnlich ist, dass eine endogene Verursachung ausser Betracht fällt (BGE 134 V 72 E. 4.1 S. 76 f. mit Hinweisen; vgl. ferner Urteil 8C_189/2010 vom 9. Juli 2010 E. 3.4).  

Gesteigertes Abgrenzungsbedürfnis, wenn kein gesicherter exogener Faktor vorliegt

Urteil 8C_589/2021 vom 17.12.2021 E. 5.2 (Volltext): Zusatzgeschehen

 

Ein gesteigertes Abgrenzungsbedürfnis bestehe dort, wo der Gesundheitsschaden seiner Natur nach auch andere Ursachen als eine plötzliche schädigende Einwirkung haben könne, also keine gesicherte Zuordnung zum exogenen Faktor erlaube. So werde eine Einwirkung ohne offensichtliche Schadensneigung erst durch das

Ein solches Zusatzgeschehen - und mit diesem das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors im Sinne einer den normalen Bewegungsablauf störenden Programmwidrigkeit - sei gegeben

  • bei einem Skifahrer, der auf einer Buckelpiste auf einer vereisten Stelle ausgleite, ohne zu stürzen, danach unkontrolliert einen Buckel anfahre, abgehoben werde und bei verdrehter Oberkörperhaltung hart auf dem Boden aufschlage, 

nicht aber,

  • wenn beim Skifahren auf einer steilen, buckligen Piste und Kompression in einer Wellenmulde eine Diskushernie auftrete.  

Grobfahrlässigkeit im Licht des ungewöhnlichen äusseren Faktors

Urteil 8C_842/2018 vom 06.05.2019 E. 4.4.1 (Volltext)

 

Ein erheblicher Alkoholkonsum schliesst die Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors nicht aus. Der erheblichen Alkoholisierung wäre allenfalls im Rahmen von Art. 37 Abs. 2 UVG Rechnung zu tragen.  

Ungewöhnlicher äusserer Faktor bei Sportunfällen im Speziellen

Auch bei Sportverletzungen besonderes Vorkommnis notwendig

Urteil 8C_24/2022 vom 20.09.2022 E. 5.2 (Volltext)

 

Das Merkmal der Ungewöhnlichkeit, und damit das Vorliegen eines Unfalls, ist allerdings selbst bei einer Sportverletzung ohne besonderes Vorkommnis zu verneinen (vgl. BGE 130 V 117 E. 2.2; Urteil 8C_835/2013 E. 5.1; Urteil 8C_570/2019 vom 8. November 2019 E. 3.2).

Gewöhnliche Bandbreite des Bewegungsmusters

Urteil 8C_835/2013 vom 28.01.2014 E. 5.1 (Volltext)


Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist das Merkmal der Ungewöhnlichkeit ohne besonderes Vorkommnis daher auch bei einer Sportverletzung zu verneinen (BGE 130 V 117 E. 2.2 S. 118; in BGE 130 V 380 nicht publ. E. 3.2 des Urteils U 199/03 vom 10. Mai 2004; Urteil 8C_189/2010 vom 9. Juli 2010 E. 3.3).

 

Der äussere Faktor ist nur dann ungewöhnlich,

  • wenn er - nach einem objektiven Massstab - nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist,

nicht aber,

  • wenn ein Geschehen in die gewöhnliche Bandbreite der Bewegungsmuster des betreffenden Sports fällt

(vgl. in BGE 130 V 380 nicht publ. E. 4.2 des Urteils U 199/03 vom 10. Mai 2004; Urteile 8C_693/2010 vom 25. März 2011 E. 5; 8C_186/2011 vom 26. Juli 2011 E. 5; 8C_189/2010 vom 9. Juli 2010 E. 5.1).

Übung verläuft anders als geplant, nicht inhärentes Risiko

Urteil U 322/02 vom 07.10.2003 E. 4.4 (Volltext)

 

Bei sportlichen Tätigkeiten ist ein Unfall im Rechtssinne nur dann anzunehmen, wenn die sportliche Übung anders verläuft als geplant. 

 

Wenn sich hingegen das in einer sportlichen Übung inhärente Risiko einer Verletzung verwirklicht, liegt kein derartiges Unfallereignis vor.

 

Ein solches ist auch dann zu verneinen,

  • wenn die Übung zwar nicht ideal verläuft,
  • die Art der Ausführung sich aber noch in der Spannweite des Üblichen des betreffenden Sportes bewegt.

Plötzlichkeit

Grundsatz der Plötzlichkeit mit zwei Beispielen

Urteil 8C_842/2018 vom 06.05.2019 E. 3.3.3 (Volltext)


Mit dem Kriterium der Plötzlichkeit wird ein zeitlicher Rahmen gesteckt. Die schädigende Einwirkung muss zwar nicht auf einen blossen Augenblick beschränkt sein, jedoch innerhalb eines relativ kurzen, abgrenzbaren Zeitraums erfolgen. Die Rechtsprechung hat bisher keine zeitliche Maximaldauer festgelegt. Die Einwirkung muss plötzlich eingesetzt haben und eine einmalige gewesen sein (BGE 140 V 220 E. 5.1 mit Hinweisen; Urteil 8C_39/2014 vom 12. November 2014 E. 4.2). 

 

Zwar muss die schädigende Einwirkung nicht auf einen blossen Augenblick beschränkt sein. Dauert die Einwirkung länger als einige Sekunden, wird verlangt, dass es sich um einen einzelnen äusseren Faktor handelt, der Gesundheitsschaden somit nicht bloss durch die Summe repetitiver (aber für sich allein betrachtet unschädlicher) Einwirkungen immer gleicher äusserer Faktoren entsteht.

 

Unfallbegriff infolge fehlender Plötzlichkeit verneint:

  • Der Unfallbegriff wurde etwa bei einer Souffleuse verneint, bei der die gesamte Lärmbelästigung während einer Opernaufführung zu einer Schädigung des Gehörs geführt hatte, die sich nicht einem einzelnen Paukenschlag zuordnen liess (RKUV 2006 Nr. U 578, U 245/05 E. 2.4).
  • Die beiden Faktoren der Ungewöhnlichkeit und der Plötzlichkeit wurden ferner im Fall einer versicherten Person verneint, die während mehrerer Minuten Gong- und Trommelschlägen ausgesetzt war (10-15 Minuten Gongschlägen und danach noch einige Minuten lang Trommelschlägen; Urteil U 26/00 vom 21. August 2001 E. 2b).  

Verbrühung der Haut im vorliegenden Fall:

  • Die ungewöhnlich hohe Temperatur des Wassers macht den alltäglichen Vorgang zu einem einmaligen Vorfall.

Mehrmaliges Zuführen von Substanzen

Urteil 8C_494/2013 (BGE 140 V 220) vom 22.04.2014 (Volltext)

 

Sachverhalt:

  • Die Einnahme von Alkohol, Medikamenten und Drogen führt zu einer Mischintoxikation mit Multiorganversagen.

Resultat:

  • Infolge mehrmaligem Zuführen von Substanzen ist die Plötzlichkeit nicht erfüllt.

Gasvergiftung / Bestrahlung

Urteil U 32/07 vom 14.06.2007 E. 2 (Volltext)

 

Plötzlichkeit erfüllt:

  • Die Exposition gegenüber einem schädlichen Faktor (Gasvergiftung, Bestrahlung, etc.) gilt als Unfall, wenn sich die Gesundheitsschädigung über einen relativ kurzen Zeitraum ereignet hat und es sich dabei um einen einzelnen äusseren Faktor handelt.

Plötzlichkeit nicht erfüllt:

  • Die Gesundheitsschädigung darf nicht durch die Summe der repetitiven Einwirkungen immer gleicher äusserer Faktoren entstehen.